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Künstlerhaus Sootbörn.
Sootbörn 22, Hamburg.
Vom 02.02.2019 bis 17.02.2019.
Vernissage am 01.02.2019 um 19:00 Uhr.
Finissage am 17.02.2019 um 17:00 Uhr.


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„Der mutige Widerspruch und die Kunst“
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
von Siegfried Fuhrmann und Marcel Große
im Künstlerhaus Sootbörn in Hamburg am 01.02.2019
von Prof. Heinz Lohmann:

Am 13. März wird der 11. ÖSTERREICHISCHE GESUNDHEITS-
WIRTSCHAFTSKONGRESS in Wien mit einem Vortrag des Professors für
Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement David Matusiewicz von der
Hochschule für Oekonomie und Management in Essen zum Thema „Gesundheit
2025: Gibt es uns dann noch?“ eröffnet. Erstmals bei einem der von uns
veranstalteten Kongresse wird der Redner nicht persönlich auf der Bühne stehen,
sondern von seinem AVATAR vertreten werden. Professor Matusiewicz wird exakt
zum selben Zeitpunkt an einem anderen Ort sein Referat life ohne Publikum halten.
Die Technik wird seinem AVATAR ermöglichen, simultan von den
Kongressteilnehmern zu agieren.

Die Digitalisierung verändert unser Leben radikal. Wir stehen derzeit erst ganz am
Anfang dieser Entwicklung. Aber eines wird schon klar, wir werden alle davon erfasst.
Und da der gesellschaftliche Umbruch disruptiv ist, also mit der Vergangenheit bricht,
lässt sich die Zukunft nicht wirklich voraussagen. Sie sehen mich hier zwar noch
ganz real vor Ihnen stehen, aber die Künstler der Ausstellung beschäftigen sich mit
den Fragen des technologischen Wandels und seinen Folgen für unser Leben.
Siegried Fuhrmann, 1944 in Hohenbüchen geboren, hat nach einer Lehre zum
Technischen Zeichner Kunst mit Abschluss an der Universität Hildesheim studiert und
ab 1981 viele Ausstellungen gestaltet. Seine Arbeiten sind in mehreren Sammlungen
vertreten, u. a. auch in der von meiner Frau und mir. Er beschäftigt sich ganz zentral
mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Technik, sowohl in seinen Installationen als
auch in seinen Zeichnungen. Es geht ihm darum, wie er sagt, „sich selbst wieder zu
finden“.

Marcel Große, geboren 1981 in Halle, hat nach einer Lehre als Karosserie- und
Fahrzeugbauer Kunst an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg studiert.
Er hat eine Reihe von Preisen und Stipendien erhalten und stellt seit 2016 aus. Seine
Arbeiten kreisen insbesondere um die Nahtstelle zwischen Kunst und Wissenschaft.
Er möchte komplexe Zusammenhänge „durch Kunst begreifen“.
Siegfried Fuhrmann und Marcel Große, die beide heute in Hamburg leben und
arbeiten, verbinden ihre durchaus differierenden Ansätze in dieser Ausstellung zu
einer Gesamtinstallation. Siegfried Fuhrmann trägt die technischen Elemente bei, die
durch Kupplungen verbunden werden können. Sie sind gefragt und können nach
seinen detaillierten Anweisungen mitwirken. Marcel Große bringt verschiedene
Einzelobjekte, Neonröhrenkreuze, Spiegel, einen Pflanzenroboter in Verbindung mit
Malerei sowie einen Blue Screen ein. Beide Künstler beschäftigen sich mit der Frage,
ob wir Menschen die Technik in den Griff bekommen und damit in unseren
Gestaltungsprozess einbeziehen können oder ob die Technik uns Menschen
beherrscht. Dieser Aspekt ist seit Beginn der Industrialisierung Gegenstand
wissenschaftlicher, aber auch immer wieder künstlerischer Betrachtungen. Jetzt in
der immer intensiver voranschreitenden Digitalisierung wird das Thema noch einmal
deutlich relevanter, ja, es wird dramatisch und für viele Menschen noch bedrohlicher,
als die Folgen des technischen Umbruchs am Ende des 18. und im ganzen 19.
Jahrhundert.

Grundlegender Wandel ist für Menschen immer schon ein Einschnitt, der
verunsichert. Wir Menschen sind auf Beständigkeit abgelegt. Wir richten uns in den
jeweiligen Gegebenheiten ein und finden unsere Position in Relation zur
Positionierung anderer Menschen. Unser daraus gewonnener Status gewährt uns
eine relative Sicherheit. Wenn dieses Gefüge in „Unordnung“ gerät, was derzeit
massiv passiert, entsteht aus Verunsicherung schnell tiefe Sorge vor Statusverlust.
Und diese Sorge ist eine schlechte Basis für aktive Teilnahme am
Veränderungsprozess. Im Gegenteil führt sie ganz schnell dazu, die Mitwirkung zu
versagen. Wenn ich erst einmal Sorge habe, zu den Verlierern des gesellschaftlichen
Wandels zu gehören, nützen mir allgemeine politische Versicherungen, etwa, die
Digitalisierung habe vielfältige Vorteile für die Menschen, gar nichts mehr. Ich muss
mich vielmehr in den Entwicklungsprozess einbringen können, um ganz nah dabei zu
sein, ja, mittendrin zu sein, wenn Neues entsteht, um mehr Sicherheit auch für mich
ganz persönlich zu erlangen.

Und genau darum geht es heute Abend. Sie können, ja Sie sollen, sich einbringen,
um die von den Künstlern konzipierte Ausstellung erst entstehen zu lassen. Siegfried
Fuhrmann bereitet uns ein Setting, das uns in seine Kunst hineinzieht. Wir werden
Teil des Konzeptes und können im Rahmen der technisch determinierten
Möglichkeiten zu Mitgestaltern des Kunstwerkes werden. Gleichzeitig führt uns
Marcel Große unsere Begrenztheit vor Augen. Vor seinem Blue Screen stehend,
können wir unsere Position bestimmen, auch die Art und Weise wie wir uns zeigen
wollen, aber auf den Hintergrund, den Zusammenhang in dem wir erscheinen
werden, haben wir keinerlei Einfluss. Somit können wir jeglicher Form von
Manipulation schutzlos ausgesetzt sein. Genauso wenig können wir der unendlich
vielfältigen Welt der Bilder in allen möglichen Medien um uns herum trauen. Was ist
real? Was ist Fiction? Reflektieren die Spiegel noch die Realität oder verzerren sie
sie? Entlasten die Roboter uns Menschen oder übernehmen sie das Regiment? Das
sind wichtige Fragen, die die Ausstellung hier heute aufwirft.

Aber dabei muss es nicht bleiben. Sie können, dazu sind Sie aufgefordert, das
heutige Ereignis fotografieren, filmen, beschreiben und auf allen Ihnen offen
stehenden Kommunikationskanälen verbreiten. Lassen Sie Ihre „Kontakte“ an der
Ausstellung teilhaben. Erweitern Sie die Erreichbarkeit über den begrenzten Kreis
der Besucher dieser Vernissage hinaus. Beziehen Sie damit die reale Welt da
draußen in die Laborwelt der Künstler mit ein. Werden Sie zu „Agenten“ zwischen der
mechanischen Maschinenvielfalt und der mehr und mehr digital gesteuerten Welt.
Sie treffen damit genau den Kern der Intention beider Künstler, die uns Menschen in
einer Mittlerrolle sehen, in einer Art Zwischenschicht oder, zeitgeistig ausgedrückt,
als „Interface“. Wenn Sie aber zum Transport Ihrer Nachrichten, Bilder und
Informationen Social Media Kanäle nutzen, eröffnen Sie eine weitere Dimension der
Reflexion. Erweitern Sie aber damit überhaupt die Vielfalt der Akteure oder steuern
Sie nur mehr vom Gleichen bei? Sind Ihre digitalen Freunde bei Facebook & Co nur
eine Kopie von Ihnen? Wenn die Algorithmen diejenigen verbinden, die gedanklich
„auf einer Welle schwimmen“, muss doch gefragt werden dürfen, wie viel „Gefällt mir“
verträgt die Kunst? Benötigt sie nicht den mutigen Widerspruch? Muss sie nicht eher
aufregen, um anzuregen? Da ist es doch gut, dass wir, Sie und ich, uns hier heute
analog versammelt und nicht nur unsere AVATARE geschickt haben. Haben wir somit
doch die Chance, einen spannenden und damit bereichernden Diskurs zu führen.


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